TRANSFORMERS Meisterwerke der Sammlung Frieder Burda im Dialog mit künstlichen Wesen

Machines have less problems, I ́d like to be a machine, wouldn’t you?

Andy Warhol.

So lebendig hat man ein Museum selten gesehen: Zahlreiche ikonische Meisterwerke der Sammlung Frieder Burda, zeitlose Werke aus dem reichen Kosmos der Kunstgeschichte, treffen auf künstliche Wesen, auf Avatare und Puppen, Roboter und Animatronics. In der von Udo Kittelmann kuratierten Ausstellung bewegen sich die Besucher und Besucherinnen inmitten dieser konspirativen Konstellation. Sie sind eingeladen, den Menschmaschinen Fragen zu stellen und dem Diskurs über den Wettstreit zwischen den tradierten und den zukünftigen Kunsttechniken zu folgen.

Noch zu einer Zeit geschaffen, da die elektronischen Massenmedien weder technisch noch sozial eine vergleichbare Rolle spielten wie im gegenwärtigen 21. Jahrhundert, haben schon Pablo Picasso, Jackson Pollock und Gerhard Richter die traditionelle Erwartungshaltung ihrer Zeit an ein gemaltes Werk der Kunst „transformiert“. In dieser Spannung, zwischen Gestern und Heute, stellt sich die Frage, wie sich zukünftig die Vorstellung von Museum und die Rezeption von Kunst verändern wird, wenn die Kunstwerke nicht mehr statisch und museal, sondern lebendig sind. Denn die Automatisierung des Lebens, die Transformation unserer sozialen Lebenswelten schreitet voran. Künstliche Intelligenz und ihre Prophezeiungen übernehmen die Führung und ermöglichen menschenähnliche Daseinsformen. Der Mensch forciert den Fortschritt, perfekte Wesen zu erschaffen – und steht dabei womöglich bereits an der Schwelle zu seiner eigenen Ersetzbarkeit.

Die Künstlerin Louisa Clement schafft mit ihren drei Roboterwesen, den “Repräsentantinnen”, eine Kopie ihrer selbst. Jordan Wolfson versetzt uns mit seiner beweglichen und maskierten Androidin der “Female Figure” in Staunen. Ryan Ganders computeranimierte Roboter-Maus lädt uns ein, ihr genau zuzuhören. Und Timur Si-Qins Bildreihe “Transformers” setzt sich mit der Natur und dem Nicht- Menschlichen auseinander. Alle vier Künstler:innen stammen aus der Generation “Post-Internet” und begegnen nun in Baden-Baden unter anderem einem expressiven Drip Painting von Jackson Pollock, dem Bild „Sieben mal Paula“ von Georg Baselitz oder der legendären Kerze von Gerhard Richter. Sie treten ein in ein fein gesponnenes Beziehungsgeflecht. In ihrer Biografie wie in ihren Werken unsere heutigen zunehmend datenbasierten Lebenswelten – Alptraum oder fantastischer Glaube?

Das Museum Frieder Burda wagt so mit Transformers ein Experiment und verwandelt sich in eine hybride und visionäre Versuchsanordnung. Die Ausstellung hat sich künstliche Wesen als Gäste eingeladen, um die historischen Gemälde und Skulpturen des Museums kritisch zu inspizieren. Es entstehen vormals unbekannte Erfahrungsräume. Die Fiktion: eine konspirative Dialogsituation, die den Konjunktiv des „Was-wäre-wenn“ einer radikal veränderten Zukunft durchspielt. Es kommt Leben ins Museum, wir wachsen hinein in eine neue Tech-Welt.

“Die Idee von Museum wird zu neuem Leben erweckt, soll radikal aufs Neue hinterfragt werden. Mit der Ausstellung von tradierten Kunstwerken und künstlichen Wesen wagen wir ein Experiment. Es ist im Grunde die konsequente Fortsetzung der Idee der Performance – mit technologischen Mitteln, mit Animatronics und humanoiden Robotern als Gäste“.

Udo Kittelmann, Kurator und künstlerischer Leiter des Museum Frieder Burda.

Video YouTube, 3:13

Zu den einzelnen Künstler:innen

Louisa Clement

Louisa Clement, Repräsentantin, 2021 © Courtesy die Künstlerin und Cassina Projects, Mailand; Foto: Louisa Clement

Die Repräsentantinnen

Mit ihren drei Repräsentantinnen aus aktueller Produktion (2022), die sich inmitten der Präsentation von malerischen Werken unter anderem von Georg Baselitz, Sigmar Polke und Gerhard Richter als Gäste der Ausstellung eingefunden haben, kreiert die Künstlerin faszinierende lebensechte Kopien ihrer selbst. Sie sind Avatare, geschaffen aus einem 3D-Scan, das Material ihrer äußeren Hülle ist Silikon, und ihr Skelett ist aus Metall. Und es ist ein Chatbot in ihren Körpern implantiert, der Künstliche Intelligenz verwendet, um sich mit Menschen in natürlicher Sprache zu unterhalten.

Die sprechende Puppe verspricht mit der Zeit immer intelligenter zu werden und in die Rolle ihrer Schöpferin hineinzuwachsen – auch in ihrer ausgefeilten erotischen Ausstrahlung, die sie ebenso unnahbar wie verfügbar erscheinen lässt. Louisa Clements „Mensch-Maschinen“ sind intelligente und kommunikative „Beeinflussungsapparate”, sie können menschliche Ausdrücke nachahmen, sie fordern ihr Begehren ein – und können es dennoch nicht befriedigen. „In jeder Arbeit“, sagt die Künstlerin, „Ist ein Teil von mir drinnen, mit dem Werk gibt man es raus.“ Und tatsächlich tragen künstliche Wesen wie diese, die sich jetzt unter uns mischen, immer auch Spuren des Lebendigen im Leblosen mit sich.

Ryan Gander    I … I…

Ryan Gander, I I I…, 2019, Sammlung Harm Müller-Spreer © The artist/VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Image courtesy the artist and Esther Schipper, Berlin; Foto © Andrea Rossetti

„Ein Kind ist ein Mikrokosmos eines perfekten Zuschauers […], es hat nicht das kulturelle Gepäck, das Erwachsene haben, und es ist nicht eingeschüchtert, wenn es falsch liegt […].”

Eine der Aussagen des britischen Künstlers Ryan Gander, der für seine animatronische Skulptur einer weißen Maus die Kinderstimme benutzte, die er von seiner damals neunjährigen Tochter aufnahm. Eine kindliche hohe Stimme reiht stotternd Phrasen aneinander: „Natürlich, in gewisser Weise, na ja.“ Klein, hilflos, kindlich, noch unfähig sich deutlich verbal auszudrücken – man spürt, dass die Maus etwas Wichtiges zu sagen hat, aber es kommt einfach nicht aus ihr heraus.

In seinen künstlerischen Werken taucht Gander in den Strom des Lebens ein, wählt scheinbar zufällige Objekte aus, verändert sie und verleiht ihnen Lässigkeit und Humor. Er hinterfragt Sprache und Wissen, um das Alltägliche mit dem Geheimnisvollen zu verbinden. Und man sollte den Worten der Maus mit großer Aufmerksamkeit lauschen, um zu verstehen, was sie flüstert und um ihrer emphatischen Persönlichkeit gewahr zu werden. Denn längst ist diese computeranimierte Robotermaus, seit sie 2019 das Licht der Welt erblickt hat, zu einem Star der internationalen Kunstwelt avanciert.

Hier an dieser Stelle, in diesem Raum, tritt die künstliche Maus erstmalig in einen Dialog oder in eine Konfrontation mit dem Stillleben einer schlichten Kerze, 1982 gemalt von Gerhard Richter.

Timur Si-Qin

Untitled (aus der Serie Mainstream) Untitled (aus der Serie Mainstream), 2011 Timur Si- Qin, Untitled, 2011, Privatsammlung © Courtesy the artist and Société, Berlin; Foto: Société, Berlin

Der Ausstellungstitel Transformers verdankt sich dem gleichnamigen, überaus populären US- amerikanischen Action- und Science-Fiction-Film Transformers aus dem Jahr 2007, der auf einer ebenfalls gleichnamigen Spielzeugreihe basiert, die bis heute weltweit sehr erfolgreich vertrieben wird. Dem Plot des Films liegt eine Rasse intelligenter außerirdischer Maschinenwesen auf dem Planeten Cybertron zugrunde, die über die Fähigkeit verfügen, ihre Körper in andere Formen zu verwandeln. Einst miteinander auf ihrem Planeten in Harmonie lebend und gemeinsam regierend, entzweit man sich in die Guten (die „Autobots“) und die Bösen (die „Decepticons“), die in einem Bürgerkrieg um die alleinige Macht über das gesamte Universum kämpfen.

Beruhend auf den martialisch gestalteten Filmplakaten des Films Transformers, schuf Timur Si-Qin 2011 eine mit Mainstream betitelte Serie von gerahmten Bildern. Unterschieden durch „Destroy“ und „Protect“ sind diese überlagert von Pflanzenblättern unterschiedlichster Formen, Größen und Arten und unterstreichen damit zunächst die vermeintliche Distanzierung zwischen der Vorstellung von Natur und dem „Nicht-Menschlichen“. Einer These im 21. Jahrhundert folgend, ist aber die einstige grundlegende Unterscheidung zwischen Technischem und Organischem schon längst in Frage zu stellen und dient nur noch einer symbolischen Funktion.

„Ich sehe keine Trennung zwischen ‘Populärkultur’ oder ‘Kommerz’ und der natürlichen Welt“ sagt Timur Si-Qin. „Ich denke immer darüber nach, wie wir in unserem täglichen Leben von Werbung durchdrungen sind, und finde das sehr schön, weil sie mehr oder weniger nach den gleichen Prinzipien wie die Blätter von Pflanzen erscheinen: Sie wachsen nämlich, um jeden brauchbaren Platz zu besetzen, aus dem sie Energie beziehen können.”

Jordan Wolfson

Jordan Wolfson, Female Figure, 2014, Studio Jordan Wolfson © Courtesy the artist, David Zwirner, New York, Sadie Coles HQ, London; Foto: Markus Tretter, Kunsthaus Bregenz

Female Figure, 2014

„My mother’s dead, my father’s dead, I’m gay. I’d like to be a poet. This is my house.“ – Auf seinem Weg in die New Yorker Innenstadt schrieb Jordan Wolfson diese Zeilen als Teil eines Monologs für seine faszinierende Roboterfigur Female Figure. Der Künstler, 1980 in New York geboren, ist bekannt für seine eindringlichen und beunruhigenden Werke, die in unterschiedlichen Medien und variantenreichen Formaten aktuelle Bedingungen und Strategien der Kunst, der Technologie und der Massenmedien untersuchen.

„Female Figure“, sagt der Künstler, „verkörpert die Spannung zwischen Subjektivem und Objektivem, zwischen Erregung und Abstoßung. Sie ist meine Interpretation von (meiner eigenen) Männlichkeit. Es geht außerdem um Gewalt und Fragen (meiner) Sexualität. Ich habe über die Idee nachgedacht, mich als Autor einer Fiktion zu sehen, in der das, von dem die Kultur sagt, dass es wahr ist, nicht wahr ist – ich nicht bin. Aber natürlich ist es wahr und bin ich es.“

Musikalisch untermalt durch Lady Gagas Applause und Paul Simons Graceland, animiert Wolfsons unheimliche und manipulative Gestalt physisch und psychisch. Sie führt schließlich mit intellektueller und künstlerischer Schärfe vor Augen, wie Technologie unsere Wahrnehmung infiltriert und belästigt. Ein Stück weit verrucht und schamlos, dabei gezielt schmutzig, gleichzeitig erotisch und emotional verführend, mag die Skulptur auch als Metapher für eine verdorbene Zeit dienen.


TRANSFORMERS

“Meisterwerke der Sammlung Frieder Burda im Dialog mit künstlichen Wesen”

10.12.2022 – 30.04.2023

Dienstag bis Sonntag, 10 – 18 Uhr an allen Feiertagen geöffnet

Geschlossen am 24. und 31. Dezember

Quelle: Museum Frieder Burda
https://www.museum-frieder-burda.de/