Zilla Leutenegger: “Es geht mir nicht darum, meine Welt zu erklären”

Claudia Suter’s legendäres Interview mit Zilla Leutenegger, 2003.

Die Künstlerin Zilla Leutenegger verrät im Gespräch, warum sie Kunst macht, was diese den Menschen „bringen“ soll und wann ihr das am besten gelingt.

Zilla Leutenegger in ihrem Atelier 2003. Photo: Claudia Suter © art-thinking.ch
Wie sind Sie zur Kunst gekommen?

Bis ich etwa siebenundzwanzig war, wusste ich nie genau, was ich überhaupt werden wollte. Ich machte einige Schnupperlehren und entschloss mich schliesslich „mit Ach und Krach“ für die Handelsschule und die Textilfachschule in Zürich. Dann war ich fünf Jahre in der Mode tätig, als Damenmode-Einkäuferin im Globus-Konzern. Nach fünf Jahren habe ich gemerkt, dass jetzt die Zeit gekommen wäre für einen Karrieresprung; dies konnte ich mir aber nicht recht vorstellen. Damals habe ich mich erstmals informiert über Kunstklassen und wurde dann schliesslich auch in der Kunstklasse Zürich aufgenommen.

Und das Mode-Business reizt Sie jetzt gar nicht mehr?

Zurück zur Mode will ich sicher nicht. Der Schritt ist für mich sehr wichtig gewesen; zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, etwas richtig gerne zu machen und mich nicht schnell zu langweilen. Das war eigentlich vor allem wegen dem Reisen. Das Reisen hat bei mir viele Eindrücke hinterlassen, wie Menschen auf der Welt arbeiten. Ich habe nicht nur andere Sprachen, sondern auch andere Arbeitswelten erlebt. Die Arbeitsverhältnisse und -Bedingungen, unter welchen die Menschen dort zum Teil arbeiten müssen, sind schon erschreckend. Das war auch ein Grund, wieso ich meine Tätigkeit dort nicht weitermachen wollte. Ich hatte zwar gute, interessante Job-Angebote, aber obwohl ich nicht so moralisch denkend bin, war es für mich an der Grenze des Erträglichen.

„Ich habe mir neben der Business-Welt meine eigene Welt aufgebaut“

Ich habe damals schon recht viel für mich gemacht. Das habe ich erst im Nachhinein gemerkt, wie stark ich damals schon in meiner Kunst gearbeitet habe. Ich habe viel fotografiert, gezeichnet und geschrieben; ich habe mir so eigentlich meine eigene Welt neben der Business-Welt aufgebaut. Mir war diese auch immer zu „tough“ gewesen, ich fand es immer zu „cool“.

Wie haben Sie schliesslich in der Kunst Fuss gefasst?

Planen kann man es ja nicht. Es lief eigentlich ziemlich normal ab, ich war nicht gerade ein „Shooting-Star“; diese wurden ja einfach entdeckt und dann „Knall-Fall“ berühmt. Bei mir war es so, dass ich relativ früh, schon im zweiten Studienjahr, ausstellen konnte bei der Galerie Ars Futura. Damit fing es so langsam an; es gab immer mehr Ausstellungen und dadurch, dass ich Videos machte, konnte ich auch an mehreren Orten gleichzeitig mitmachen. Es war dann wie bei einem Buschfeuer; es ging dann plötzlich sehr schnell.

„Es war dann wie bei einem Buschfeuer“

Man kommt dann auch schnell an einen Punkt, wo man aufpassen muss, dass es nicht zu viel wird. Ich arbeite eigentlich dann am besten, wenn ich alleine bin und mich zurückziehen kann. So beginnt man, auch mal eine Ausstellung abzusagen oder zu verschieben, das ist ein wichtiger Punkt für mich gewesen.

Ich glaube, die Leute schätzen meine Arbeit – also es gibt auch die, die sie nicht schätzen – weil es mir gelungen ist, die Ernsthaftigkeit auf den Punkt zu bringen. Auch weil sie merken, dass es mir ein Anliegen ist, Kunst zu machen. Ich mache es ja auch für mich.

Sie machen also primär Kunst für sich selbst und weniger für andere Menschen?

Es ist zwar schon im Bewusstsein, dass man die Öffentlichkeit braucht. Man zeigt ja etwas und exponiert sich. Dementsprechend braucht man das Publikum und seine Anerkennung. Aber im Moment, in welchem ich Kunst mache, bin ich sehr stark bei mir und würde es nie machen, weil es eine Marktlücke wäre. Das gibt es ja auch.

So etwas haben Sie nie in Erwägung gezogen; bewusst etwas zu machen, was es noch nicht gibt, um damit mehr Erfolgschancen zu haben?

Das funktioniert nicht, das zahlt sich nicht aus. Das gibt es schon, dass man sich mehr oder weniger strategisch verhalten kann, aber auf die Länge funktioniert das nicht, weil einem dann die Ideen ausgehen. Man muss schliesslich auch wirklich ein Anliegen haben, sonst verliert es sich über die Jahre. Man sieht ja auch, wie viele, welche mal total „in“ waren, plötzlich nicht mehr „in“ sind.

Wie kamen Sie schliesslich zu Ihrer künstlerischen Anerkennung? Hatten Sie sich gewisse Strategien überlegt?

Nein. Es kommt dann halt bald die Frage als Künstlerin, ob man mit Galerien zusammenarbeiten will oder nicht. Das ist wiederum abhängig davon, ob man ein entsprechendes Angebot erhält oder nicht. Wenn ja, muss man sich für eine Galerie entscheiden. Da gibt es Galerien, welche sehr kommerziell orientiert sind, und andere, welche auf anderes schauen. Ich habe mich in meinem Fall für Kilchmann entschieden, weil er sich im internationalen Kunstmarkt sehr gut auskennt und eine Aufgabe für mich übernehmen kann, welche ich selbst nicht tun kann; zum Beispiel an Messen gehen und mich auch international vertreten. Es gibt Galerien, welche nicht diese Prioritäten sehen.

Ich wusste schon immer, dass ich mich nicht selbst verkaufen wollte, dass ich eine Galerie für so etwas benötigen würde. Unter anderem habe ich mich deswegen für Kilchmann entschieden. Das sind natürlich schon Entscheidungen, die man treffen muss. Es gibt ja auch Künstler, welche sich dem Kunstmarkt entziehen wollen und ohne Galerie arbeiten wollen. Dann ist man einfach von Stipendien abhängig.

„Die Frage ist einfach: will man von der Kunst leben können?“

Die Frage ist einfach: will man von der Kunst leben können oder macht man die Kunst neben dem Job. Manchmal hält man das als Künstler auch gar nicht aus, dass man Geld verdienen will und soll mit Kunst. In so einem Fall möchte man dann lieber auf die Galerien verzichten. Aber ich habe das für mich immer als selbstverständlich empfunden, dass das mein Job ist, mein Beruf. Und dann will ich auch davon leben können.

„Ich habe es auch immer als selbstverständlich empfunden, dass das mein Beruf ist“

Ich habe mich auch nie irgendwie verkauft gefühlt, für mich ist es klar, wenn ich eine Zeichnung mache oder eine Installation, dass diese dann auch käuflich ist. Und wenn jemand das kauft, dann freut es mich sehr. Es heisst für mich auch, die Miete zahlen zu können, die Existenz ist so quasi gesichert. Da bin ich recht pragmatisch.

Ist die Tatsache, dass Sie Schweizerin sind, im Ausland ein Vorteil oder eher ein Nachteil?

Politisch gesehen ist es nicht wichtig. Als Schweizerin ist man gern gesehen. Aber das ist immer in einem relativ kleinen Kontext, in einem eng gesteckten Rahmen. Wenn ich irgendwohin eingeladen werde, dann komme ich in einen kleinen Kreis, in welchem alle schon wissen, wer ich bin und wieso ich dort bin. Sie wissen auch, was die Schweizer Kunst momentan für einen Wert hat in der Kunstwelt. Es hat eigentlich nicht viel zu tun mit meiner Nationalität. Als Künstlerin ist man zwar oft im Ausland, aber immer in einem recht geschützten Rahmen..

Ist die Schweiz ein guter Ort, um Kunst zu machen? Oder wäre es im Ausland einfacher, künstlerisch tätig zu sein?

.Ich war ja eineinhalb Jahre in Berlin, das war vor zwei Jahren. Das ist eine wichtige Zeit für mich gewesen, das war direkt nach dem Studium. Da brauchte ich zunächst mal etwas Abstand von Zürich. Aber zum Arbeiten ist es nicht wirklich besser gewesen. Mittlerweile bin ich in Zürich schon ziemlich gut eingerichtet, ich habe hier mein Studio, eine Bändermaschine, Techniker, welche mir sehr wichtig sind. Ich bin eigentlich immer hierhin nach Zürich gekommen, um meine Arbeiten fertigzustellen.

Der Verkauf der Kunst ist mir nicht so wichtig, das könnte ich auch im Ausland machen. Meine Hauptgalerie ist hier in Zürich, und die arbeitet dann ja auch international. Also für mich ist der Ort des Ateliers für den Verkauf nicht wichtig. Aber Berlin ist mir dann auch auf die Nerven gegangen..

„Berlin hat mich eher genervt“

Das „toughe“ Business von hier habe ich dann fast schon etwas vermisst. Man sagt ja, Berlin sei sehr inspirativ für Künstler, aber mich hat es dann eher genervt.

Haben Sie vor, in der Zukunft einmal im Ausland zu leben?

Ich habe schon Ideen, mal ein halbes Jahr oder so im Ausland zu verbringen, aber ich werde dann sicher wieder zurückkommen. Nach diesen eineinhalb Jahren in Berlin habe ich gemerkt, dass ich recht gern hier lebe. Innerhalb der Schweiz könnte ich mir nur Zürich, Basel und eventuell Genf vorstellen. Wieder zurück ins Bündnerland gehen würde ich nur, um eine Arbeit zu machen.

Wieso haben Sie Lust, Kunst zu machen?

Es zeichnet ja jeder so ein bisschen für sich. Die Frage ist nur, ob man es dann in den Kunst-Kontext miteinbezieht oder nicht, ob man auch das Bedürfnis hat, sich zu exponieren. Es braucht Mut, die Arbeitsstelle und somit das gesicherte Einkommen aufzugeben, um dann etwas zu machen, bei dem man nicht einschätzen kann, ob es dann schlussendlich funktioniert oder nicht.

Ist Ihnen persönlich dieser Schritt leicht gefallen?

Ich habe mir das eigentlich gar nicht recht überlegt. Ich habe es erst dann gemerkt, als alle in der Modebranche das so bewundert hatten. Aber es ist ja auch so, dass wir nicht wirklich Angst haben müssen, zu verhungern oder kein Geld mehr zu haben. Schlimm wird es erst, wenn man sich verschuldet und das so zur grossen Belastung wird. So kann man dann gar nichts mehr auf die Beine stellen. Man kommt aber auch mit recht wenig Geld aus. Ich hatte auch vorher schon viel Geld verdient aber keine Zeit gehabt, das Geld dann auch auszugeben, damit konnte ich mir auch das Studium finanzieren. Zudem haben mich meine Eltern sowohl finanziell wie auch moralisch unterstützt.

„Ich habe mir keine Gedanken gemacht, was passieren würde, wenn es mit der Kunst nicht klappt“

Es war für mich daher nicht so ein schwieriger Moment, als ich meinen Job kündigte. Ich wusste damals, dass ich das nicht mehr machen wollte. Ich hatte schon immer schon solche „Spleens“, welche ich durchziehen musste. Dazu gehört auch eine gewisse Sturheit. Zudem war ich davon überzeugt, dass es geht. Aber ich habe mir eigentlich auch keine Gedanken dazu gemacht, was passieren würde, wenn es eben nicht klappt.

Soll Ihre Kunst den Menschen etwas „bringen“?

Für mich gibt es keine Mission, es sind für mich extrem interne, „cleane“ Interessen, welche ich ernst nehme und jemandem zeige, den es nicht direkt betrifft. Es sind Anliegen, welche jeder Mensch hat, die man dann im besten Fall auch für sich wiedererkennen und ernst nehmen kann.

Wie zum Beispiel Langeweile, daraus kann auch etwas entstehen: vielleicht Leere oder auch ein extrem wertvoller Moment, welchen ich nicht in Worte fassen kann, sondern eher im Bild. Ein Bild ist für mich wie ein Zustand, in welchem man ganz extrem alleine, bei sich, ist. Das ist dann ein gutes Allein-Sein: in einem komischen Rampenlicht zu stehen und so quasi auf die Bühne gebracht zu werden. Es geht mir um Momente des Allein-Seins oder um ruhige, einfache Momente, welche sehr komplex sind.

„Es geht mir nicht darum, meine Welt zu erklären“

Ich glaube, es ist keine Mission. Es geht mir nicht darum, meine Welt zu erklären. Es ist mehr ein Aufzeigen der Interessen, hinter welchen ich stehe. Diese werden dann von den Menschen aufgefasst, je nachdem, was sie selbst für Interessen haben. Meine Kunst ist meist ziemlich frei interpretierbar.

Wie kommen Sie zu Ihren Ideen?

Viele Ideen entstehen eigentlich während einer anderen Arbeit. Während ich am Ausführen einer Idee bin, im Studio sitze und sie bespreche, dann entstehen daraus oft – quasi als „Überbleibsel“ – neue Arbeiten. Ideen kommen mir auch dann, wenn es eben nicht darum geht, Kunst zu machen. Das sind dann Glücksmomente!

„Ideen kommen mir dann, wenn es eben nicht darum geht, Kunst zu machen“

Ich kann mir auch nicht einfach vornehmen: „Heute mache ich Kunst!“, das passiert meist in untypischen Momenten. Ich kann auch mit Ateliers nicht umgehen. Ich hätte das Gefühl, ich müsste am Morgen dorthin gehen und dann sofort Kunst machen, aber das gibt es bei mir nicht. Die schönsten Werke entstehen eigentlich als „Sudel“ zwischen Zeichnungen, bei denen ich mir Mühe gebe. Der Moment, in welchem ich Kunst machen möchte, ist meist ein eher verzweifelter Moment. Da scheitere ich meist.

Gab es für Sie Zeiten, in denen Ihnen einfach nichts gelang?

Das waren dann genau die Zeiten, in denen ich die gute Kunst machen konnte. Es ist natürlich viel geplanter, wenn ich mit anderen Leuten zusammenarbeite, etwas filmen muss oder so. Aber auch jetzt mache ich das nicht oft. Ein Nicht-Gelingen gibt es für mich fast nicht. Es gibt höchstens Momente, in denen ich mir überlege, ob das was ich mache, wirklich wichtig ist.

„Es gibt Momente, in denen ich mir überlege, ob das was ich mache, wirklich wichtig ist“

Wie sieht der Weg von der Idee zum ausgeführten Werk aus?

Es ist so, dass ich technisch relativ gut Bescheid weiss, was machbar ist. Ich bin zwar im Studio immer dabei, kann aber die technische Seite nicht alleine übernehmen. Durch meine Erfahrung habe ich aber eine ziemlich klare Vorstellung davon, was mit den technischen Mitteln möglich ist und was nicht. Ich weiss auch ziemlich genau, wie ich es am Schluss haben will. Dann gehe ich mit Skizzen, Fotos und Zeitungsausschnitten zu meinem Techniker, bespreche alles mit ihm, mache Termine aus und reserviere das Studio für eins bis zwei Wochen.

Sind die neuen Medien besser für Sie geeignet, um sich auszudrücken, als die traditionellen Mittel?

Nein, ich zeichne ja auch. Das einzige, was mich interessiert, ist die Bewegung im Bild zu zeigen. Weil das durch Film und Computer möglich ist, brauche ich diese neuen Medien. Aber ich missbrauche sie auch gleichzeitig, weil ich sie nie wirklich auskoste, es wäre von der Technik her noch viel mehr möglich.

„Ich brauche die neuen Medien, aber missbrauche sie auch gleichzeitig“

Ich werde eigentlich immer minimaler in der Ausschöpfung der technischen Möglichkeiten. Es macht ja auch müde, man sieht sehr viele Möglichkeiten, wenn man die Medien nützt. Es ist für mich keine interessante Art, Kunst zu machen, wenn es sich auf ein Medium konzentriert. Der Inhalt geht dann verloren.

Für mich ist ein Medium ein Werkzeug, um eine Idee zu zeigen. Ich brauche die neuen Medien, weil ich keine Angst davor habe, sie einzusetzen. Aber sie sind auch nicht unbedingt notwendig, um eine Idee zu zeigen.

„Ich brauche die neuen Medien, weil ich keine Angst davor habe, sie einzusetzen.“

Mit den neuen Medien kann ich eine Idee nicht einfach besser zeigen, es ist schlicht die einfachste Lösung, um sie zu verwirklichen. Ich studiere mich bewusst nicht ein in die gesamte Computertechnik und in das Programmieren. Das würde mich zu stark verpflichten. Nach einem Jahr des Studiums eines Programms wäre ich fast dazu gezwungen, damit dann auch Kunst zu machen.

Aber indem ich jemanden bezahle, der die technische Seite beherrscht, kann ich mich jederzeit dazu entschliessen, nur noch Zeichnungen zu machen. Diese Freiheit ist für die Kunst extrem wichtig.

Gewisse Kritiker bezeichnen Ihre Arbeiten als „narzisstisch“ und „pure Selbstgefälligkeit“. Was entgegnen Sie diesen Kritikern?

Vor allem früher wurden meine Arbeiten – meist von Frauen – missverstanden, vor allem wegen der Selbstinszenierung. Ich komme ja in meinen Arbeiten meistens vor. Früher war das halt noch nicht so klar, ich wusste damals selbst nicht, wieso das so ist. Es hat schon damit zu tun, dass ich oft mit Momenten des Allein-Seins arbeite, wo man sich auf sich selbst konzentriert.

„Es geht in meinen Arbeiten nicht um Zilla als Zilla“

Es ist unterdessen klarer geworden, dass es in meinen Arbeiten nicht um Zilla als Zilla geht, sondern um die praktische Art, mit sich selbst zu arbeiten. Man muss eine Idee nicht nennen, bevor sie nicht entstanden ist. Sie muss nicht verbalisiert werden, bevor man nicht weiss, was interessant ist am Bild. Das ist ein total wichtiger Moment, der für mich auch immer klarer wird.

Das ist auch der Grund, wieso ich mit mir arbeite und nicht mit einer Schauspielerin; wenn man etwas spielt, wird immer etwas inszeniert, ein Überdenken muss stattfinden. Ich müsste der Schauspielerin erklären, um was für ein Gefühl es mir geht. Und wenn es zum Beispiel um Scham geht, um Berührtheit, dann wäre es mir nicht möglich, dies der Schauspielerin verbal zu vermitteln. Man würde auch merken, dass die Idee von jemandem interpretiert, also gespielt wird. Mir geht es eben nicht um dieses Spielen, sondern um die Einmaligkeit eines Momentes, welcher auch mir nicht immer gelingt.

Ich merke oft, wenn ich ein Video aufnehme, dass die erste Version meistens die beste ist, von dem her, was ich mache. Auch wenn die dritte Version vielleicht besser ausgeleuchtet wäre, komme ich oft wieder auf die erste Version zurück. Das fast jungfräuliche daran, das erste Mal etwas zu tun, ist eigentlich das Wichtigste in meiner Arbeit.

Das Narzisstische war sicher auch ein wichtiger Moment in meiner Arbeit, vor allem früher. Man muss sich ja auch emanzipieren, sich durchsetzen, gerade in der Kunstklasse. Man nimmt sich selbst etwas in Schutz; jeder so wie er will oder kann. Bei mir war es eine extreme Konzentration auf mich selbst. Auf mich als Person, als Hülle meiner Ideen, denn dort werden sie auch geboren. Das ist ein sehr kleiner, geschlossener Zustand.

Das ist auch heute noch so, es ist einfach nicht mehr so eindeutig im Sinne von „Zilla feiert sich selber“. Da wurden die Kritiker schon vorsichtiger mit dieser Aussage. Trotzdem ist es immer noch ein Thema. Bei jedem Interview werde ich gefragt, wieso ich mit mir selbst arbeite. Ich kann es auch erst seit kurzem formulieren, das musste ich auch zuerst selbst herausfinden, wieso das so ist, das ist auch nicht von Anfang an deutlich gewesen.

Wie gehen Sie im Allgemeinen mit negativer Kritik an Ihrer Kunst um?

Es wäre recht komisch, wenn man negative Kritik einfach nur locker nehmen würde. Aber es ist fast wichtiger, überhaupt diskutiert zu werden, als einfach nichts zu hören und zu lesen. Kunst muss ja die Leute auf eine Art irritieren. Wenn man diskutiert wird, dann ist man quasi eine diskutierte Künstlerin. Es gibt immer unterschiedliche Meinungen, das ist eigentlich fast unwichtig. Schlussendlich muss man diskutiert werden, die Öffentlichkeit soll sich eine kritische Meinung bilden, dann hat die Kunst Anklang gefunden. Das Brutalste ist dann, wenn man ausstellt, und gar keine Reaktionen erhält. Dann lieber eine schlechte Kritik!

„Man muss negative Kritik einfach so deuten: wenigstens bin ich diskutiert!“

Es ist natürlich schon brutal, wenn man etwas Persönliches preisgibt und das dann von jemandem in den Dreck gezogen wird. Vor allem wenn man die Möglichkeit nicht hat, darauf zu reagieren. Man muss es einfach so deuten: wenigstens bin ich diskutiert! Früher hatte ich rechte Krisen, vor allem in der Schule habe ich auch Neid erlebt, da ich im Vergleich zu meiner Klasse schon am meisten ausgestellt hatte. Jetzt habe ich genügend Menschen um mich, die hinter mir stehen, da erträgt man auch einmal einen Seitenhieb oder zum Beispiel die Tatsache, dass ich keine Stipendien bekomme.

Haben Ihre Arbeiten auch einen feministischen Hintergrund? Geht es Ihnen auch darum, speziell die Frauen anzusprechen?

Eher nein. Es ist mir nicht so sehr ein Anliegen, wie das für meine Vorgängerinnen in den Siebzigern noch der Fall war. Aber ich bin natürlich eine Frau, und wenn ich in meiner Installation The Man In The Moon auf dem Mond als Frau wie ein Mann pinkle, dann ist das auch klar ein Statement. Mein Umgang mit dieser Thematik ist viel leichter. Ich würde mich aber nie als Feministin bezeichnen.

„Ich würde mich nie als Feministin bezeichnen“

Ich bin in meinen Arbeiten einfach die Figur im Bild. Mit der Selbstverständlichkeit, wie ich mich als Frau wahrnehme zum Beispiel bei der Installation Lessons oder beim The Man In The Moon

Ich nehme aber auch androgyne Figuren ein, wo ich nicht als Mann oder Frau erkennbar bin, sondern einfach eine Figur darstelle. Ich bin ja auch nicht typisch Frau, auch nicht vom Auftreten und so. Man sollte mit einer neuen Selbstverständlichkeit seine Kunst machen. Unter anderem ist mein Frau-Sein auch ein Thema. Aber es gibt noch viele andere Themen, welche mich auch interessieren.

Wie würden Sie Ihre Kunst beschreiben?

Ich finde sie recht einfach. Sie ist auf ganz klassischen Bildern aufgebaut, die man kennt. Zum Beispiel steht jemand in einer Landschaft oder jemand sitzt in der Küche. Oder auch Bilder aus „Der kleine Prinz“ oder aus Zeitschriften. Die Bilder in meiner Kunst wirken vertraut. Es ist keine Collage, keine Verstückelung; es geht mir nicht darum, etwas Abstraktes zu zeigen. Es ist höchstens eine Vereinfachung komplexer Bilder.

„Meine Kunst ist recht einfach“

Die Bewegungen werden auch immer minimaler. Gleichzeitig hat meine Kunst sehr viel mit Bewegung zu tun, was auch wieder das Medium rechtfertigt. Auch die Zeichnungen sind, obwohl im „freeze frame“, bewegt. Ich habe also trotzdem das Gefühl, sehr mit Bewegungen zu arbeiten. Je länger je weniger mit Erzählungen.

Ich habe einmal eine Trilogie gemacht, welche versucht hat, die Liebe zu erklären. Das ist ein einmaliger Versuch gewesen. Ich finde die Arbeit zwar gelungen, aber es interessiert mich nicht, nochmals eine solche Arbeit zu machen. Ich merke, dass es mir zu stark in Richtung Film geht. Ich interessiere mich weder für den Film noch für das Kino. Ich merke immer mehr, dass ich mich in der Kunst immer stärker für Zeichnungen und Rauminstallationen interessiere.

Ist Ihre Kunst auch politisch?

Ich bin der Meinung, dass Kunst nicht politisch sein kann. Oder dann ist sie so, dass alles in sie hineininterpretiert werden kann.

„Kunst kann nicht politisch sein“

Ich würde zum Beispiel in Bezug auf den Irakkrieg nie eins zu eins reagieren, als Kunst finde ich das nicht interessant. Für mich ist Kunst von diesen Dingen und Problemen der Welt „ausgeklinkt“. Sie muss darüber stehen.

Die Reaktionen auf Ihre Installation Der Grosse Schnee sind sehr unterschiedlich ausgefallen. Ist es für Sie wichtig, dass Ihre Kunst auch „richtig“ verstanden wird?

Wichtig ist mir, dass meine Kunst richtig installiert ist, so wie ich sie aufgebaut habe. Es ist meiner Meinung nach dann fast nicht mehr möglich, dass sie von jemandem falsch interpretiert wird. Ein „richtig“ oder ein „falsch“ gibt es nicht, wenn die Installation auch richtig installiert ist, weil ja jeder die Sachen hineininterpretiert, die ihm wichtig sind. Diese Offenheit finde ich extrem „rääs“. Da sagt jeder extrem viel über sich, wie er die Installation gesehen hat. Jemand kann sie als aggressiv oder als verletzend empfinden oder sie umgekehrt als eine sehr glückliche Situation ansehen. Das hat extrem viel mit dem Betrachter zu tun. Diese Arbeit bei Der Grosse Schnee hat bei mir auch sehr viel mit „Gegenüber“ zu tun. Es fehlt ja das Gegenüber. Die einen interpretieren es so, dass sie die Schneebälle zurückwerfen wollen – das ist dann auch tatsächlich so passiert – andere fühlen sich selbst beworfen.

Der Grosse Schnee - Zilla Leutenegger - 2003
Der Grosse Schnee Biel 2003

Zu Biel muss ich noch sagen, dass ich sehr unglücklich mit der Situation dort bin. Ich habe als erste installiert, weil ich nachher weg musste, und habe daher alles vorher besprochen mit dem zweiten Künstler in meinem Raum und auch mit der Kuratorin. Leider sind die Abmachungen nicht eingehalten worden. Das hat mich dann sehr wütend gemacht. Das funktioniert einfach nicht, wenn eine, die sich Kuratorin nennt, abgemachte Dinge nicht befolgt. Es ist vorher genau besprochen worden, wie mit dem Raum umgegangen werden soll; es wurde aber ohne Absprache mit mir alles anders gemacht. Das fand ich sehr schade. Ich musste mir die Arbeit des zweiten Künstlers in meinem Raum immer „wegdenken“.

Mir ist schon klar, dass das keine Einzelausstellung war. Eine Gruppenausstellung ist immer eine Herausforderung für sich, weil man immer ein anderes Gegenüber hat. Gerade deswegen hat man sich in Biel zweimal getroffen, und darum verstehe ich überhaupt nicht, dass eine Kuratorin sich nicht dafür verantwortlich fühlt, beide Künstler zu involvieren. Das verstehe ich einfach nicht. Ich finde, es war „kuratorisch“ gesehen eine sehr schlechte Ausstellung. Es ist mir eine Lehre gewesen. Man sollte einfach überall präsent sein, obwohl das nicht immer möglich ist.

Überlegen Sie sich vorher schon, welche Interpretationen und Reaktionen die Rezipienten haben könnten?

Das ist von Arbeit zu Arbeit verschieden. Ich habe nicht das Gefühl, etwas „missionieren“ zu müssen.

„Ich habe nicht das Gefühl, etwas „missionieren“ zu müssen“

Ich lasse das Bild, so wie es installiert ist, stehen, und überlasse es dem Betrachter mit all seinen Ideen und Erlebnissen. Das kann ich gar nicht ausschliessen, aber gerade das ist ja das Spannende daran. Vorher habe ich ja meine Kunst als einfach beschrieben. Ich glaube, je einfacher etwas ist, desto unterschiedlicher kann man es auch interpretieren. So empfinde ich es als verletzbarer und wertvoller, vielleicht auch als interessanter.

Bei Rauminstallationen habe ich in Berlin zum ersten Mal bestimmt, wohin sich der Besucher setzen soll, ausgehend von den englischen Gärten, bei denen ja auch bestimmt wurde, wohin sich der Besucher setzen sollte; was für eine Sicht auf den Garten – mit beschleunigter Perspektive – dem Besucher gezeigt werden sollte. Das fand ich extrem spannend, weil mir der Raum auch sehr wichtig ist beim Installieren. In Berlin war mir das ein grosses Anliegen, dass der Betrachter den Raum richtig begeht und besucht. Meine Bilder sind also relativ offen in einem ziemlich präzisen Raum installiert… Das ist meine Traum-Ausstellungssituation!

„Meine Bilder sind relativ offen in einem ziemlich präzisen Raum installiert“

Gibt es auch Ideen von Ihnen, welche Ihnen zu persönlich sind, um sie der Öffentlichkeit zu zeigen?

Gerade die Schwäche ist ja ein wichtiger Punkt in meiner Arbeit. Ich bin bereit, mich in meiner Arbeit zum Beispiel nicht „super-gestylt“ abbilden zu lassen. Meine Cousine, mit welcher ich zusammen aufgewachsen bin, wundert sich immer, dass ich das nicht schlimm finde, wenn zum Beispiel an der ART ein riesiges Bild von mir aufgehängt ist, auf welchem ich total verschlafen aussehe. Aber das sind ja dann Leute, die das Bild im besten Fall mit nach Hause nehmen, die mich nicht kennen. Die wollen ja den Zustand mit nach Hause nehmen, welcher die Verletzlichkeit am Morgen zeigt. Es geht mir also darum, dort etwas zu zeigen, was eigentlich jeder von sich kennt.

„Ich zeige etwas, was eigentlich jeder von sich kennt“

Es hat gar nichts mit mir zu tun und wie ich am Morgen aussehe. Es ist dann auch für mich gar kein Problem, mich dort zu sehen. Es hat für mich nichts wirklich Persönliches, ich bin einfach sehr ehrlich gegenüber meiner Arbeit.

Ich kann das aber auch sehr gut abgrenzen, was mich zum Beispiel traurig gemacht hat. Ich habe Dinge erlebt, welche ich aufgenommen habe mit meiner Kamera, an welchen ich immer noch zu beissen habe. Aus diesen Dingen würde ich nie eine Arbeit machen. Weil es für mich gar nichts mit dem zu tun hat, was mich eigentlich in der Kunst interessiert. Es sind einfach extreme Bilder – ich habe auch den 11. September miterlebt und das auch gefilmt – aber das ist für mich mehr eine persönliche Verarbeitung dieser Bilder. Auch wenn es immer wieder extrem ist, das zu sehen – es hat einfach mit meiner persönlichen Geschichte zu tun, was ich erlebt habe. Auch Trennungen, Beziehungsdramen und so haben für mich keinen Stellenwert in der Kunst, das interessiert mich nicht.

Tracy Emin, eine englische Künstlerin, welche auch sehr mit sich arbeitet und mir sehr wichtig ist, arbeitet zwar auch mit sich selbst, aber auf einer ganz anderen Ebene; viel mehr „Seelenstriptease“. Zum Beispiel zeigt sie der Öffentlichkeit ein Zelt, in welchem alle Menschen drin sind, mit denen sie jemals Sex hatte. Das ist auf einer ganz anderen Ebene, viel persönlicher.

Welche Ziele möchten Sie noch erreichen?

Meine Ziele sind schwierig zu formulieren. Ich habe kürzlich ein Interview mit Genazino, einem Schriftsteller, gelesen. Dieser wurde erst etwa mit fünfzig Jahren berühmt, also relativ spät. Er hat immer für sich selbst gearbeitet und geschrieben und musste sich dann noch stärker zurückziehen, um seine Ruhe auch behalten zu können. Ich glaube, mein Ziel ist es, extrem bei mir bleiben zu können und meine Konzentration nicht zu verlieren.

(c) 2003 Laconicum – Magazin für Kunst und Kultur ISSN 1661 – 6154

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