Haus zur Glocke “Den Atlas öffnen”

Ein Atlas erschliesst uns die Welt in ihren Einzelteilen — etwa Regionen, Demografie, Gebirge und Gewässer — sowie in ihrer Ganzheit, hat man die Musse, das Buch vollständig durchzublättern. In diesem Sinne erschliessen uns die Kunstschaffenden in der Frühlingsausstellung nicht nur einzelne Räume im Haus zur Glocke und in Steckborn, sondern auch ihre persönlichen Welten, bestehend aus Einzelteilen, die zusammengefügt ein grösseres Ganzes ergeben.

Jane Ingram Allen

Die Amerikanerin Jane Ingram Allen bringt das traditionelle Quilt-Handwerk umformuliert nach Steckborn. Am Quai zeigt sie einen Living Quilt, zusammengesetzt aus hand- geschöpften Papierstücken, aus denen im Sommer Wildblumen spriessen werden. Auch im Haus ist ein Papier-Quilt zu sehen, in ihrer Erscheinung jedoch zeitunabhängig. Die Arbeit Daily Scrolls thematisiert wieder- um das Verstreichen der Zeit. Während der ersten Wochen der Covid-19 Quarantäne im Frühling 2020 hat die Künstlerin Papierrollen geschaffen, jeden Tag eine. Diese sollen vom Publikum geöffnet, gelesen und bearbeitet werden. Auch beim Living Quilt können in ähnlicher Form Botschaften hinterlassen werden, um so einen Steckborner Atlas mit eigenen Geschichten zu gestalten.

Hannes Brunner

Seit etwas mehr als einem Jahr geht Hannes Brunner jeden Tag als Erstes dem Skizzieren nach, bevor digitale Geräte oder andere Kommunikationsmedien betätigt werden. Manchmal entstehen ganze Serien von Blättern zu einem Thema, manchmal genau ein Blatt. Eines dieser Blätter findet jeweils Eingang auf Instagram, ohne auf Follower zu achten. Vielmehr vermittelt es Intimität in der digitalen Massenmedialität und deklariert einen Archivplatz. Im Dachstock des Hauses zur Glocke sind die über 365 Blätter unter

dem Titel Analoges Jahr — Worte finden für etwas aus der Dämmerung erstmals einer analogen Betrachtung zugänglich.

Claudia Schmid

Claudia Schmids künstlerische Untersuchungen savoir voir sind räumliche Erkundungen im Themenfeld Elektrizität, Licht und Raum. Sie begeht verlassene Industrieräume, ausrangierte Elektrizitätswerke oder Bürokomplexe in Zwischennutzung. Daraus entstanden über die letzten Jahre Installationen und Bilderreihen. Nun greift die Künstlerin auf ihr Archiv von digitalen Fotoserien und Industriematerialien zu. Im wieder- holenden Auslegen, Sichten und Zuordnen, lässt sie neue visuelle Zugänge und Verhältnisse entstehen. Da ein Atlas keine Form und keine Zwischenräume besitzt, die man endgültig nennen könnte, hält sie einzelne Konstellationen für die Ausstellung als Momentaufnahme fest.

Text: Courtesy of “Haus zur Glocke”, Steckborn, Seestrasse / April 2021


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